Christa Schechtl's
"Der Schrei" 2

Gedanken zur Besinnung
Steine und Brot

Es geschah am 30. September im Passauer Dom St. Stephan. An diesem Sonntag wurde in der barocken, üppig ausgestatteten Kathedrale der Erntedanktag mit einem Festlichen Gottesdienst gefeiert. Ich war als Tourist dabei. Pünktlich um 9.30 Uhr kündigen von der Türglocke der Sakristei drei Schläge den Einzug des Dompfarrers mit seinen Messdienern an. Die größte Orgel der Welt, 17 463 Pfeifen, röhrt los und begleitet mit ihrem mächtigen Sound den Geistlichen und sein Gefolge zum Hochaltar.

Über dem Altartisch erhebt sich eine gigantische Skulpturenszene. Menschengroße Figuren stellen die grausame Steinigung des Heiligen Stephanus dar. Auf den Stufen zum Altar stehen Körbe mit frischgebackenem Brot und reifen Früchten. Ein Kranz aus Ähren liegt dazwischen. Zum Erntedanktag wird das Johannes-Evangelium vom guten Hirten gelesen. Der Dompfarrer, ein Mann mittleren Alters, trägt es im Sprechgesang weihevoll vor:

Christus sprach zu seinen Jüngern: Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, dem die Schafe nicht gehören, lässt sie im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht. Der Wolf reißt sie und jagt sie auseinander. Ich bin der gute Hirt und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich... Ein Gleichnis, in dem Mensch und Tier gleichgestellt sind. In der anschließenden Predigt überträgt der Dompfarrer dieses Gleichnis in unsere Gegenwart. Er bedankt sich erst bei der Schöpfung für die gewachsenen Produkte der Natur, dann bei den Bauern, die gesät und geerntet haben. Den Hauptteil der Predigt widmet der Domherr dem Wohl und Wehe der Tiere. Er dankt ihnen für das Fleisch, für ihre Milch, für ihre Eier und Wolle. Er dankt aber auch allen Tieren, die brav und gehorsam ihren Dienst für uns Menschen verrichten. Dieser Dompfarrer sagt noch den Haustieren, die für unendlich viele einsame Menschen treue Freunde sind, ein Vergelt's Gott. Der Dompfarrer von Passau entschuldigt sich sogar bei den zusammengepferchten Rindern, Ochsen, Schweinen und Hühnern in den Massenhaltungen, weil die Große Masse der Menschen völlig gedanken- und rücksichtslos möglichst billiges Fleisch und möglichst billige Eier verzehren möchte. Der Dompfarrer von Passau erinnert auch an die vielen, vielen Kälber, Kühe und Schweine, die wegen gewinntreibender Fütterung ansteckend krank geworden sind und dann zusammen mit ihren gesunden Artgenossen notgeschlachtet werden mussten.

Die Bilder von den Massenverbrennungen, in denen die Beine der Rinder starr zum Himmel ragten, sind im Gehirn jeden Tierfreundes unauslöschbar. Im Namen des Schöpfers bittet dieser ungewöhnliche Priester alle wehrlos gewordenen Tieropfer um Verzeihung. Er hat zum Schutz der Tierwelt Gedanken ausgesprochen, die ich vorher noch von keinem anderen geistlichen Herrn, von keinem Kardinal, von keinem Papst, von keinem Vertreter anderer Religionen, von keinem Rabbiner, von keinem Koran-Gläubigen vernommen habe. Nach dem Gottesdienst und nachdem die weltgrößte Orgel verstummt ist, gehe ich zu diesem Domherrn in die Sakristei und bedanke mich für seine wunderbare Predigt am Erntedanktag.

Es war mir ein religiöses Anliegen, denn die Tiere sind Geschöpfe Gottes wie wir. Baumann heißt der gute Hirt von Passau. Wo sind noch andere gute Hirten Gottes?

In Kabul, im Gottesstaat Afghanistan, gibt es einen Zoo, in dem ein Bär und ein Löwe von Kindern aus kurzer Distanz mit Steinen beworfen werden dürfen. Wer errichtet gesteinigten und zu Tode gequälten Tieren einen Altar?

Gert Braun, freier Journalist, vorher Chefredakteur der Quick.

Verschimmeltes Brot als Henkersmahlzeit

Dieser Hund war eines der letzten Tiere, die im ehemaligen Todeslager in Burgas/Bulgarien starben, bevor ich es in ein Tierheim umwandelte.

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