Christa Schechtl's
"Der Schrei" 2

Tatort: Bulgarien
Tanzbärin Kalinka.
Meine gefährlichste
und teuerste
Befreiung.
Burgas

Es ist früher Abend, als ich am Sonnenstrand bei Burgas in einer Nebenstraße die Tanzbärin Kalinka entdecke. Ergeben lässt sie sich von ihrem Herrn am Nassenring zum Geldverdienen führen. Ein Bild unendlicher Traurigkeit.

"Foto? Machen Foto!" lockt Bärenbesitzer Dimitri und deutet auf Kalinka. Mir zieht es das Herz zusammen. Weiß ich doch, wie barbarisch Tanzbären dressiert werden: Als Babys werden sie auf glühendheiße Metallplatten gestellt, ein Tambourin spielt dazu, und das Bärchen zieht, halb wahnsinnig vor Schmerz, die Pfötchen hoch. Doch die Pein geht noch weiter. Mit einem glühenden Nagel werden Löcher für die Nasenringe in die empfindliche Lefze gestochen. Nun ist das Tier vollends an Leib und Seele gebrochen und reif zum Geldverdienen.

All das wusste ich, und mir war klar, Dimitri das Abendgeschäft zu zerschlagen. Es klappte: Ich hielt jeden Touristen davon ab, Fotos zu machen oder Geld zu spenden. Entnervt und schrecklich wütend zieht er mit Kalinka an den Strand.

Ich hinterher. Zwei Stunden lang, in denen Dimitri auf mich einschimpfte und drohte. Kalinka und ich konnten kaum mehr laufen, Es wird dunkel, der Strand geht zur Neige, keine Restaurants, keine Menschen, keine Hotels. Ich bleibe stehen, sehe keinen Sinn mehr in der Verfolgung. Da bleibt auch Dimitri stehen und lockt mit samtener Stimme: "Komm, Frau, komm". Doch ich fühle eine Bedrohung und marschiere den ganzen Weg zurück ins Zentrum.

Ich schwor mir, die Tanzbärin Kalinka zu retten. Noch ahnte ich nicht, was ich am nächsten Tag sehen würde.

Am nächsten Morgen lasse ich mich von Taxifahrer Jani zur Windmühle, in den Wald, fahren, wo die Zigeuner leben sollen. Jani weigert sich zunächst, schließlich führt er mich, bleibt aber am Waldrand stehen und sieht mir mit verschränkten Armen nach, wie ich im Wald verschwinde. Schon kommen mir die ersten Kinder, Gänse und Hunde entgegen. Und Männer, viele Männer. Sie umkreisen mich wortlos, sehen mich nur an. Überaus feindselig. Ganz offensichtlich hat Dimitri von der deutschen Frau erzählt. Ich frage nach dem Bär. "Nix Bär!" ist die klare und einzige Antwort.

Die Atmosphäre ist hoch explosiv. Da geschieht ein Wunder. Ein kleines Mädchen kommt auf mich zu, nimmt meine Hand und zieht mich in den Wald hinein- direkt zu Kalinka. Instinktiv hebe ich die Kamera und kann gerade ein einziges Foto schießen, als ein Zigeuner auf mich zustürmt und sie mir aus der Hand reißen will. Wütend gehe ich auf ihn zu, schreie ihn an: "Fass meine Kamera nicht an". Tatsächlich lässt mich der Mann erschrocken in Ruhe. Doch eine zweite Aufnahme hätte ich nicht riskieren dürfen.

Ich sehe Kalinka. Am Boden liegend, mit ihrem Nasenring am Baum angekettet. Vor sich eine umgefallene Blechschüssel. Und dann der nächste Schock: Ein paar Meter weiter entdecke ich zwei weitere Bären: Marianna und Stefan.

Beim zuständigen Bürgermeister erkundige ich mich über die bulgarische Rechtslage und erfahre, dass es seit Monaten ein Gesetz gibt, wonach Affen, Schlangen und Tanzbären nicht mehr öffentlich auftreten dürfen. Ich hätte also eine gesetzliche Handhabe. Doch wohin mit den Bären, sollten sie beschlagnahmt werden?

Am nächsten Morgen kehre ich mit meiner Dolmetscherin Maria zu den Zigeunern in den Wald zurück. Zunächst war ich unwillkommen, doch nach signalisierten Kaufverhandlungen kam eine abenteuerliche Basar-Technik auf. Vom ursprünglich geforderten Kaufpreis von 1 Million (!) DM einigten wir uns schließlich realistisch auf 30.000 DM pro Bär.

Das war die Basis, die ich im Gepäck bei meinem Rückflug nach Deutschland hatte. Ich machte die halbe Welt verrückt nach einem platz für meine Bären. Doch kein Zoo, kein Wildtierpark wollte sie haben. Schließlich war eine Wiener Tierschutzorganisation von meinen Bildern und der Thematik so angetan, dass sie blitzschnell das Weihnachts-Mailing diesen Tanzbären widmete, um so an Spenden für ein ins Auge gefasstes Bärenschutz-Zentrum zu gelangen.

Zusammen mit Tierarzt Amir Khalil flog ich zur bulgarischen Umweltministerin Dr. Evdokia Meneva nach Sofia, die eine Genehmigung für ein Tanzbären-Reservat signalisierte.

Die größte bulgarische Tageszeitung, "24 Stunden", berichtete über mein Engagement, und bereits kurze Zeit später wurde ein geeignetes, naturbelassenes Grundstück gefunden, die Verträge juristisch unter Dach und Fach gebracht und im Frühjahr 2000 mit dem Bau des ersten Tanzbären-Zentrums in Bulgarien begonnen.

Im November 2000 konnten Kalinka, Marianna und Stefan in das für sie erschaffene Reservat in Belitza einziehen. Ich hoffe sehr, dass noch viele Tanzbären aus Bulgarien - an die 70 soll es noch in diesem Land geben- hier ihren leidensfreien Lebensabend verbringen können.

So entstand aus einer nächtlichen Begegnung mit der Tanzbärin Kakinka ein Bären-Refugium.

Das macht mich unendlich glücklich.

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